Spülmaschinen-Opfer
Die vorigen Posts zeigen überdeutlich: Die Gentrifizierung ist nicht nur ein stadtsoziologisches Phänomen. Vielmehr setzt sich diese brutale Umstrukturierung, der Krieg gegen alles, was gewachsen, unangepasst oder althergebracht ist, hinter den Mauern und in den Wohnungen und Haushalten fort, in Beziehungen und selbst in geschützten Institutionen, wie der heiligen Ehe: Eine neue Lifestyle-Religion beansprucht mit dem Schlachruf "Gentrify Yourself" moralische Autorität. Eine riesige Propaganda-Maschine unterstützt mit geradezu wissenschaftlichem Anspruch die Entwertung all dessen was da ist gegenüber dem, was neu gekauft werden kann: "Der Preis des Plunders" lautet passend ein Artikel in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung, in dem die These vetreten wird, das manche Menschen den Wert ihres Besitzes maßlos überschätzen, weil bei ihnen eine spezielle Hirnregion, die Inselrinde, zu stark durchblutet ist. Wahrscheinlich stimmt das sogar, denn die blödsinnige Konsum-Maschine würde vermutlich am besten laufen, wenn die Menschen ihr Gehirn ganz abschalten (Probanden/innen für entsprechende Versuche werden noch gesucht).
Besonders klar geworden ist mir die ganze Dimension dieser Umstrukturierungs- und Neubewertungskampagne, als mir meine vierjährige Nichte am vorletzten Wochenende entgegenkrähte: "Martin, räum Deinen Schreibtisch auf - ich zähl bis drei!"
Verschärft wird meine persönliche Situation natürlich noch dadurch, dass ich mit einer Schwäbin zusammen lebe. Seit sie in Berlin ist, stecken wir voll im Gentrifizierungsprozess. Es ist ja nicht nur das Sofa neu. Als besonders effektives Instrument der Entwertung des vorhandenen Hausrates hat sich die neue Spülmaschine erwiesen. Vordergründig mit dem Argument der Arbeitsersparnis und - natürlich - des verminderten Wasserverbrauchs angeschafft, hat sie sich zu einem wahren Monster entwickelt. Weniger Wasser wird mitnichten verbraucht. Denn statt einmal in der Woche wird mit der Maschine nun täglich zweimal gespült - und zwar alles, was sich nicht wehrt.
An anderer Stelle habe ich bereits beklagt, dass 25 Prozent der - ebenfalls neuen - Weingläser seither zerstört sind. Die metallene Teekanne nimmt neuerdings dank einer täglichen Elektrolyse-Kur ab, allein die neue Obstschale wurde bisher verschont - weil sie zu groß für die Maschine ist.
Gestern jedoch erwischte es mein geliebtes Frühstücksbrett: Durch den einseitigen Wasserstrahl verzog es sich, die Verleimung löste sich auf, dann zerbrach es.
Bei Lichte besehen bilden die millionenfach in der Republik verteilten Spülmaschinen ein riesiges dezentrales Geschirr-Gulag, das in seiner zerstörerischen Wirkung kaum überschätzt werden kann!
proskauer34 - 21. Jun, 13:43
Gut geschrieben
Das ist gut geschrieben. Anna ist ja ganz schön frech.